Armut in Deutschland
– und was der Armutsbericht der Regierung daraus macht
Verschwiegen wird nichts in der Demokratie. Wie es zugeht in diesem reichen Land, das steht sauber aufgelistet im periodischen „Armuts– und Reichtumsbericht der Bundesregierung“. Da kann man lesen, dass wieder einmal die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind. Wie viele Menschen für 8,50 Euro und wie viele für nur 6 Euro pro Stunde arbeiten und ihren Lohn für die volle Arbeitswoche vom Staat auf das Hartz-IV-Niveau aufstocken lassen müssen. Wie viele Kinder verwahrlosen, Heranwachsende ausrasten, Alte verkommen und so weiter.
Die Kunst und die zynische Stärke der demokratischen Meinungsbildung besteht darin, dass sich die marktwirtschaftliche Ordnung an empörenden Fakten gar nicht mehr blamieren kann, weil sie die Bürger und die von Armut Betroffenen mit hineinzieht in die „richtige“, konstruktive Weise, über den systemgemäßen Ausschluss vieler vom vorhandenen Reichtum nachzudenken.
Auf mehreren hundert Seiten, tatsächlich aber in wenigen Schritten schafft es der Armutsbericht der Regierung, den Berichtsgegenstand erstens von einem Faktum in eine Frage der Definition zu verwandeln, die man so oder so vornehmen kann.
Im nächsten Schritt wird Armut zum Armutsrisiko verniedlicht, zu einem Umstand also, der schwerpunktmäßig nur ausgewählte Risikogruppen betrifft und bei dem es vor allem darauf ankommt, dass und wie gut ein Mensch damit umgehen kann. In einem dritten Schritt wird Armut zum Problem erklärt, ob und wie man aus ihr wieder herauskommt. Sie selbst ist damit abgehakt, kritikwürdig ist jetzt nur mehr ihre Verfestigung über die Generationen.
Theoretisch gesehen ist jeder dieser Schritte ein Fehler, menschlich eine Schweinerei und politisch eine Parteinahme für den Sozialstaat, der die in der Marktwirtschaft systemnotwendige Armut konstruktiv verwaltet.